Die Zukunftswerkstatt Radionachrichten in Bremen hat‘s getestet.
Und deshalb: Ohren auf! Hier kommen drei Fußball-Spielberichte. Thema: Der SV Werder Bremen hat gegen die TSG Hoffenheim verloren. Aber wer berichtet da? Mensch oder Maschine? Also: Wer hat die jeweiligen Texte geschrieben? Was tippt Ihr? Macht einfach eine Strichliste und dann sehen wir weiter.
Nur eins zur Sicherheit vorneweg: Die Stimme gehört ihn allen drei Fällen dem Radiokollegen Daniel Haselbach von Radio Bremen. Aber was der da vorliest, ist eben zum Teil von einem Roboter verfasst.
Bereit? Los geht‘s:
Ergebnis notiert?
Aber ward Ihr Euch sicher? Nein? Dann: Willkommen im Club.
Denn die Zeiten, in denen man mit Gewissheit sagen konnte, ob ein Mensch oder eine Maschine so einen Spielbericht geschrieben hat, sind längst vorbei. Und doch steckt dahinter alles andere als Magie, sondern ganz viel Arbeit. Wie viel Arbeit genau, durften die TeilnehmerInnen der Zukunftswerkstatt Radionachrichten selbst erleben. Eingeladen hatten dazu die ARD.ZDFmedienakademie, die Akademie für politische Bildung Tutzing und Radio Bremen.
Und Werkstatt-Erfinder Dietz Schwiesau hatte zwei besonder Gäste aufgetan: Sebastian Küchenmeister und Sarah Neuhaus von Retresco. Das Unternehmen hat eine Software entwickelt, die für fußball.de Spielberichte verfasst. Viele Spielberichte. Sehr viele.
Wow. Auf https://t.co/swk5CHe4GV erscheinen pro Spieltag 75.000 Texte/Spielberichte, die eine Maschine verfasst hat. Erzählt Sebastian Küchenmeister von @retresco. Seine Firma hat die Software dafür gemacht. #newsneu
— Sandra Müller (@radiomachen) February 8, 2020
Mehr als irgendein Mensch jemals an einem Tag verfassen könnte. Und für die Zukunftswerkstatt erklärten die beiden, wie das geht. Ja, mehr noch: Sie beauftragten eine kleine Gruppe, den Roboter mal selber zu trainieren. Und das war alles andere als einfach. Aber der Reihe nach.
Erstmal ging‘s darum, das Grundprinzip zu verstehen. Für fußball.de funktioniert das so: FußballerInnen quer durch Deutschland tragen nach ihren Spielen Daten in Tabellen ein. Sie notieren, wer wo gespielt hat, wie viele Tore gefallen sind, wie‘s zur Halbzeit stand, wie viel Chancen vergeben wurden, und und und….
Diese Daten gießt die Maschine dann in Sätze, und zwar in Sätze, die man ihr beigebracht hat. Man könnte auch sagen: Die Maschine puzzelt „nur“ Textbausteine zusammen. Es sind allerdings viele Textbausteine und sie sind in dem Programm nach der üblichen „Wenn, dann-Logik“ hinterlegt. Also: Wenn Mannschaft A auswärts mit x:y gegen Mannschaft B gewonnen hat, dann kann
- dieser und jener Satz als Überschrift genutzt werden.
- dieser und jener Satz als Einstieg in den Satz.
- dieser und jener Satz als zweiter Satz.
Und so weiter und so fort.
Selbst die Bedingungen für einzelne Adjektive muss man dem Programm „beibringen“. Denn ab welcher Tordifferenz darf der Roboter einen Sieg/eine Niederlage „deutlich“ nennen? Erst wenn Computerlinguistin Neuhaus das festgelegt hat, kann die Maschine das künftig automatisch entscheiden.
Ihr merkt: Eine Höllen-Detailarbeit – eine, die viel Sprachvermögen, abstrahiertes Denken und auch Feingefühl verlangt. Die RadiokollegInnen bei der Zukunftswerkstatt jedenfalls kamen als ProgrammiererInnnen schnell in Nöte: Darf man den Roboter einfach so schreiben lassen:
„Die Fans von [winning team] feierten einen [x:y]-Sieg in [losing Team_Ort]?“
Oder könnte das in Problem geben? Dann zum Beispiel, wenn das Spiel nur knapp gewonnen wurde, es aber viele verschenkte Torchancen gab und die Fans trotz Sieg null in Feierlaune waren? Tja.
Die große Herausforderung – Fußballtexte schreiben nur anhand von Daten – „man war ja nicht dabei!“ Sarah Neuhaus @retresco #KI #Roboterjournalismus in a nutshell #newsneu
— Katharina Thoms (@mediathoms) February 8, 2020
Und wann versagt der Sport-Roboterjournalist von @retresco? Bei den Knast-Kickern aus Fuhlsbüttel. Die dürfen nämlich nie auswärts spielen. Das weiß der Roboter nicht, weil sie nur die Standardversionen kennt. #newsneu
— Sandra Müller (@radiomachen) February 8, 2020
So eine Maschine kann eben nur nach Anleitung kombinieren. Sie kann nicht selber denken. Und sie ist nur so gut, wie die, die sie programmieren.
Bei der Zukunftswerkstatt Radionachrichten in Bremen waren das eine Handvoll KollegInnen. Sie haben sich einen Tag lang gequält und der Maschine verschiedene Formulierungen beigebracht. Am Ende konnte die Maschine nur einfachste Kurzmeldungen formulieren. Für echte Spielberichte hat es nicht gereicht. Und viel Varianz war nicht. Die Meldungen hätten sehr schnell, sehr ähnlich geklungen.
Bleibt die Frage: Klingen nicht auch Menschen gemachte Sportmeldungen sehr ähnlich, sehr stereotyp? Ehrlicherweise muss man sagen: Vielfach schon. Und dasselbe gilt für Wetterberichte, Börsenberichte, vielleicht auch für die Meldungen über Wahlergebnisse – alles Texte, die sich um konkrete Daten ranken. Genau deshalb eigenen sie sich ja für die Verarbeitung durch Maschinen.
Sehr viel weiter ist die Technik auch noch gar nicht, erkläre Sebastian Küchenmeister von Retresco bei der Zukunftswerkstatt in Bremen.
Für Texte wie Verkehr, Wetter und Fußballmeldungen ist die KI-Variante durchaus eine ernst zunehmende Alternative. für Nachrichtebredakteur*innen ist es aber keine Bedrohung, sagt Sebastian Küchenmeister @retresco #KI #Roboterjournalismus #newsneu
— Katharina Thoms (@mediathoms) February 9, 2020
Was kann KI? Im Journalismus sind „Robo-Journalisten“ schon lange im Einsatz und schreiben Wetter-, Wirtschafts- oder Sportmeldungen. Doch die Grenzen der „schwachen KI“ sind schnell gesetzt: Kommentare, Interviews, Reportagen – alles unmöglich, auch auf absehbare Zeit. #newsneu
— Alex Sängerlaub (@alexkaterdemos) February 8, 2020
Roboter*innen gegen Journalist*innen. Das haben wir gelernt: Hinter jedem KI-Text steckt ein guter Text-Mensch. Künstliche Intelligenz kommt nicht aus der Steckdose, ist Handarbeit und eignet sich nur für faktenbasierte Routinetexte. @retresco #newsneu pic.twitter.com/Lh2e0irMUW
— Dietz Schwiesau (@DietzSchwiesau) February 9, 2020
Aber die Hoffnung ist klar: Die Roboter sollen den menschlichen Profis lästige Routinearbeiten abnehmen und machen, was der Mensch eh nicht kann – zum Beispiel 75.000 Spielberichte an einem Tag liefern.
Bei t-online und der WELT kommen solche Textgeneratoren für Fußballberichte übrigens bereits zum Einsatz. Im Radio nach meinem Wissen nirgends, wobei das gar nicht so eindeutig zu sagen ist, weil auch Presseagenturen zum Teil schon mit Robotertexten arbeiten und die im Radio auch Verwendung finden. Und die Frage, ob man sowas kennzeichnen sollte, ist leider nicht eindeutig geklärt. Ich finde: Ja, man muss.
Dennoch: Die Antwort auf die Ausgangsfrage „Mensch oder Maschine – Wer schreibt die besseren Nachrichten?“ ist zum jetzigen Zeitpunkt klar: Der Mensch. Denn Nachrichtenprofis können mehr als nur datengetriebene Themen in Sprachförmchen gießen. Sie können formulieren, abwägen, Zusammenhänge verstehen und sensibel in Beziehung setzen. Das kann die Maschine nicht. Aber für Fußball-Spielberichte ist das ja offenbar auch gar nicht nötig. Oder wie ging‘s Euch beim Hörtest? Habt Ihr richtig gelegen? Welcher Text war von Menschen, welcher von der Maschine geschrieben? Hier die Auflösung:
Was sonst noch so ging bei der Zukunftswerkstatt Radionachrichten, könnt Ihr nachlesen im Tagungsbericht der Akademie für politische Bildung Tutzing.
Disclosure: Sandra Müller, die Betreiberin dieses Blogs, wird von der ARD.ZDF medienakademie dafür bezahlt, die Zukunftswerkstatt Radionachrichten publizistisch zu begleiten.
Wow, sehr interessanter Artikel!
Es ist schon erstaunlich, was eine KI schafft, wenn sie einen ganzen Tag gefüttert wird.
Grüße
Vielen Dank für diesen sehr interessanten und ausführlichen Beitrag.
Lg. Leah
Sehr unterhaltsam geschrieben. Vielen Dank für die Infos.
Grüße, Dominik