(Hör)Beispiele

Was ist denn nun eine gute Meldung und wie klingt eine gelungene Umfrage? Wann wirken O-Töne und warum sind einige Beiträge einfach nicht zu verstehen? Auch Radio machen lernt man zu weiten Teilen, indem man Beispiele hört – gute und anregende zum Nachmachen, missglückte zum Vermeiden. Hier deshalb eine kleine Sammlung. Es sind Beispiele aus dem ganz normalen Radioalltag, die die Textbeispiele in dem Buch „Radio machen“ ergänzen. Weitere Beispiele gibt’s nach und nach auch im Blog 

  1. Meldungen/Nachrichtenminuten
  2. Umfragen
  3. Schnittechnik
  4. Beiträge (Manuskripte)
  5. Aufnehmen/Sprechtechnik
  6. Collagen, Kollegengespräche und mehr
  7. Live auf Sendung
  8. Moderieren/Interviews führen

1. Meldungen und Nachrichtenminuten

„Verorten, verorten, verorten“ sagt der Nachrichten-Chef im Radio gern. Und meint damit: „Sag, WO die Meldung spielt, die Du vorliest.“ Im Zweifelsfall reicht es dazu nicht, nur einmal zu Beginn den Ortsnamen zu nennen. Denn…äh..wo nochmal stand die baufällige Schule, die da gesperrt wird? Keine Ahnung! Die „Ortsspitzmarke“ ist nämlich an mir vorbeigerauscht, als ich noch gar nicht wusste, dass mich die nachfolgende Meldung interessieren könnte.

Also: Ortsnamen dürfen sich wiederholen. Und ja: An manchen Stellen dürfte die Meldung weniger bürokratisch klingen. Falls jemand Lust hat eine verbesserte Variante zu texten, hier nochmal das Original:

Pforzheim. Wegen gravierender Baumängel muss die Nordstadtschule geschlossen bleiben. Sie wird jetzt grundlegend saniert. Die 630 betroffenen Schüler werden ab Montag auf andere Schulen der Stadt verteilt und werden bis auf weiteres dort unterrichtet. Zusätzlicher Raum für Unterricht soll durch Container und Zelte geschaffen werden. Wie lange diese Übergangslösung dauert ist noch unklar. Das knapp hundert Jahre alte Haus war in den Osterferien geschlossen worden, weil Statiker bei Sanierungsarbeiten einige Decken als nicht mehr sicher beurteilt hatten.

Horror „Zahlen“: Im Radio sind allzu viele Ziffern und Zahlen kaum vermittelbar. Sie prägen sich dem Hörer nicht ein und sind eher Weg- als Hinhörer, wenn sie in geballter Form vorkommen. Die monatlichen Arbeitslosenzahlen sind deshalb jedes Mal wieder eine schwierige Übung. Doch bisweilen kann man sogar Arbeitslosenzahlen ohne Zahlen vermitteln. Ein Beispiel:

Nagold. Die Arbeitsagenturen in der Region melden für Juni weniger Arbeitslose als noch vor einem Monat. Vielerorts werden Arbeitskräfte gesucht. Simone Sprech:

Der Aufschwung bringt ganz offensichtlich Leben in den Arbeitsmarkt. Vor allem die Jungen profitieren davon. In Nagold zum Beispiel: Dort ist die Zahl der Arbeitslosen unter 25 innerhalb eines Jahres um mehr als ein Drittel gesunken. Balingen und Reutlingen melden ebenfalls deutlich weniger junge Arbeitslose. Gute Aussichten auch für Lehrlinge rund um Villingen-Schwenningen: Zwar würden viele, die jetzt ihre Ausbildung abschließen, nicht übernommen. Doch die Unternehmen seien auch auf der Suche nach Fachkräften. Ein Trend, der sich vor allem im Nordschwarzwald bemerkbar macht. Auf der Alb dagegen sind kaum neue Stellenangebote dazugekommen. Und noch was macht sich rund um Reutlingen, Münsingen und Bad Urach besonders stark bemerkbar: Das Problem, ältere Jobsuchende in Lohn und Brot zu bringen. An ihnen nämlich scheint der Aufschwung vorbei zu gehen. Reutlingen zum Beispiel meldet für diesen Juni über zehn Prozent mehr Arbeitslose über 50 als noch vor einem Jahr.

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2. Umfragen

Wie bringt man den „Irgendwen auf der Straße“ dazu, ein paar Sätze ins Mikrofon zu sagen? Zum heißesten Tag des Sommers, zum irren Pollenflug dieses Jahr und zur jüngsten Benzinpreiserhöhung. Nicht immer leicht, mehr als ein paar hingenuschelte Antworten zu kriegen. Aber manchmal geht’s ja auch kurz angebunden. Philipp Pfäfflin vom SWR zum Beispiel wollte zum Jahrestag des Baustarts für das umstrittene Bahnprojekt S21 jeweils nur EIN WORT hören. Und siehe da: Es funktionierte. Prächtig. Eine Umfrage knapp und doch aussagekräftig:

Genau genommen ist der ganze Beitrag nicht viel mehr als eine Umfrage. Aufgemotzt eben. Auch das geht. Man muss nur ausdauernd genug fragen und die Befragten anregen, ihren Ideen freien Lauf zu lassen.

Umfragen sind wunderbares Spielmaterial für Moderatoren. Und manchmal reichen ganz kleine Schnipsel. Vier Antworten zum Beispiel in 17 Sekunden – von Menschen, die sich wundern über Friedrich Silcher, der heute Geburtstag hat, und von dem sie dachten, sie kennen ihn nicht. Von wegen! Der Mann liegt uns quasi dauernd in den Ohren:

Umfragen lassen sich auch zu moderierten Umfragen bzw. Live-on-Tape-Stücken oder zu Collagen ausbauen.

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3. Schnittechnik

Merke: Ein guter Schnitt ist nicht zu hören.
aus: Müller, Radio machen, Konstanz 2011, Seite 39

Diese Regel lässt an Klarheit eigentlich nichts zu wünschen übrig. Dennoch hört man oft Schnitte

    • die Sprecher atemlos machen, weil jedes Luft-Holen herausgeschnitten wurde
    • die Sprecher zu „Doppel-Atmern“ machen, weil man beim Entfernen eines Parts den An-Atmer vergessen hat.

Übrigens: So klingt die Original-Passage von Franz Beckenbauer

und natürlich könnte man den kleinen Hänger am Ende rausschneiden. Doch solche Hänger sind typisch für Beckenbauers Sprachstil. Sie gehören zu seinem Sprachduktus. Und den sollte man nicht durch allzu pedantisches Säubern entfremden.
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4. Beiträge

Wer – in Gottes Namen – ist Primus Truber? Ein slowenischer Kirchereformer aus dem 16. Jahrhundert. Und wie – zum Teufel – soll man über den einen Beitrag machen, den nicht nur Religionslehrer spannend finden? Ganz einfach: Indem man nicht eine staubige Geschichte aus der Vergangenheit erzählt, sondern eine Geschichte mitten aus der Gegenwart. Denn Primus Truber hat Fans in Slowenien. Und immer, wenn sich sein Geburtstag jährt, kommen viele von ihnen nach Derendingen bei Tübingen, – den Ort, in dem Primus Truber gestorben ist.

Der Beitrag lebt von den vielen höchst emotionalen Stimmen. Die O-Töne liefern keine reinen Fakten, sondern die nötigen Einschätzungen und Gefühle, die auch jemandem, der noch nie was von Primus Truber gehört hat, klar machen, warum der Mann was besonderes ist. Viel Atmo und Geräusche nehmen den Hörer mit vor Ort. Die meisten O-Töne sind aus der Situation heraus aufgenommen und nicht in einem reinen Frage-Antwort-Spiel.

Wenn es um Leben und Tod geht, hört der Spaß auf. Erst recht wenn man nur drei Minuten Sendezeit dafür bekommt. – Glaubt man. Und doch geht es. Das folgende Stück stellt zwei Männer vor, die sich ihren eigenen Sarg bauen und sich viele Gedanken dazu gemacht haben. Vieles davon sehr philosophisch. Sehr anspruchsvoll. Und vor dem Hintergrund ihrer Lebenserfahrung. Zu viel Material eigentlich für einen Drei-Minuten-Beitrag. Und doch passt in drei Minuten mehr als man denkt.

Das Geheimnis dieses Beitrags liegt im Vertrauen auf die O-Töne. Viele sind einfach direkt aneinander gehängt. Ohne großes An- und Abtexten. Denn ein Reporter muss nicht immer reden, um etwas auszudrücken. Er kann einfach reden lassen. Allerdings muss er sich dafür bei der Aufnahme vor Ort Zeit nehmen. Und er muss – gerade bei einem so ernsten Thema wie Tod und Sterben – einfach mal zuhören und das Mikro hinhalten – geduldig. (Auch wenn das Honorar meist dasselbe bleibt – egal, ob die Aufnahmen eine oder drei Stunden dauern.)

Übrigens: So könnte das Manuskript für den Beitrag über den Glockenspiel-Wettbewerb aussehen, der im Buch vorgestellt und besprochen ist:

 

 

Typisch und hilfreich:

  • Ein großer Zeilenabstand
  • Abgesetzte und durchnummerierte Abschnitte für O-Töne
  • Die jeweils ersten und letzten Worte eines O-Tons
  • Die Länge der O-Töne
  • 14-Punkt-Schrift mit Zeilen à 60 Zeichen (Dann sind 16 Zeilen gesprochen ungefähr eine Minute lang

)

Die passende Manuskriptvorlage gibt hier zum Download.

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5. Aufnehmen/Sprechtechnik

Wie spricht man im Radio? Wie schafft man es, am Mikro angenehmen zu klingen, die Stimme im Griff zu haben? Wie artikuliert und betont man richtig? Fragen, die man am besten direkt mit einem Sprecherzieher klärt. Schon einige wenige Stunden wirken da Wunder. Für erste Eindrücke gibt’s aber auch ein paar schöne Hörbeispiele in der Online-Nachrichtenschule des LIST-Verlags. Die Grundregeln, um die es dort geht (Tempo, Pausen, Stimmführung,…) gelten für alles, was im Radio gesagt wird.

Beim Aufnehmen ist Coolness gefragt. Es gilt die Grundregel: Wer sich versprochen hat, springt ein paar Worte zurück im Text und macht’s nochmal, selbst wenn es Dutzende Anläufe braucht: ;o)

 

Oder aber man findet einen schönen Trick, die Sprach-Stolperfalle zu umgehen:

Weitere heitere Produktionsabgründe gibt’s bei radiopannen.de 

Idealerweise kennt man als Reporter seinen eigenen Text so gut, dass man weiß, wie er betont werden soll. Aber was wenn man fremde Texte vortragen muss? Oder vor lauter Nervosität den eigenen Text immer wieder falsch betont? Dann helfen Sprechzeichen im Manuskript. Wie die aussehen können, zeigt dieses schöne Beispiel:

aus: Buchholz/LaRoche, „Radiojournalismus“, Berlin 2009, 9., vollständig aktualisierte Auflage, S. 42

Aber warum ist es überhaupt so wichtig, sich übers richtige Betonen Gedanken zu machen? Weil man tausend Fehler machen kann! Oder besser gesagt: Weil es viele Arten zu betonen gibt, die nicht so richtig gut klingen. Ines Bose (Uni Halle), Veronika Grandke (MDR), Dietz Schwiesau (MDR) und Antonia Kaloff (Sprecherin, MDR) haben vor Jahren mal auf sehr eindrückliche und amüsante Art demonstriert, wie leicht man zum Beispiel beim Präsentieren der Nachrichten, den falschen Ton erwischt:

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6. Collagen, Kollegengespräche und mehr

„Gebaute Beiträge“ sind das eine, aber Radio ist mehr. Denn im Grund ist alles erlaubt, was man aus Text und Tönen machen kann.
Der Klassiker: die Collage. Sie kommt ohne Text aus und lebt allein von den Tönen. Radio also in seiner schönsten Form und einfach dem Leben abgelauscht – zum Beispiel ganz so als wär man mitten drin im umbrisch-provenzalischen Markt in Tübingen:

Oder bei einem Chor-Konzert in einer Höhle auf der Schwäbischen Alb:

Auch schön: Reine Erzähl- und Erklärstücke, die mit Geräuschen, Atmo, Effekten aufgemotzt werden. Auf den klassischen O-Ton wird dagegen verzichtet. Sehr spielerisch und im besten Sinne radiophon zum Beispiel: die DAS DING-Serie „Grundwissen in 60 Sekunden“:


Für meinen Geschmack zu selten zu hören: Live-on-tape-Reportagen. Dabei vermitteln sie oft sehr viel mehr authentisches Vor-Ort-Feeling als das gebaute Stück und eignen sich für spielerische Themen, in denen die Fakten schnell abgearbeitet sind, aber die jeweilige Situation vor Ort entscheidend ist. Beispiel: Nackte Demonstranten in der Fußgängerzone:


Immer beliebter werden (Kollegen)Gespräche. Und ich persönlich bin ein großer Fan davon. Denn das Kollegengespräch erlaubt einen konsequent alltäglichen Ton. Es ahmt iedalerweise den ganz normalen Talk beim Bäcker, am Gartenzaun, an der Bushaltestelle nach. Moderator und Reporterin unerhalten sich stellvertretend für die Hörer über ein Thema das „Gesprächswert“ hat. Und beide dürfen dabei gerne als Persönlichkeiten und mit einer gewissen Privatheit durchschimmern.

Sehr reizvoll sind auch Kollegengespräche mit O-Tönen oder Atmo. Auf die Art werden sie nämlich zu kleinen (nach)erzählten Reportagen, die im Ton aber eben gesprächig sind. Mir gefällt das außerordentlich gut.

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7. Live auf Sendung

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8. Moderieren/Interviews führen

Interviews führen ist eine Frage der richtigen Technik.. Denn mit fragen allein kommt man nicht weiter. Es braucht schon eine Struktur, eine Form, ein Ziel. Man muss das Interview wirklich FÜHREN und doch locker klingen dabei. Da nützt es nichts einen Fragenkatalog abzuarbeiten. Man muss bei aller  Planung auch zuhören können und sich einlassen auf das Gegenüber. Eine, die das auf grandiose Art bewiesen hat, ist Christina Weiss. 2011 ist sie für ein Interview mit dem Transsexuellen Balian Buschbaum mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet worden. Warum und wie’s klang, hört Ihr hier.


Als Moderatorin muss man Lust machen. Dem Hörer. Aufs Zuhören. Aufs HINhören. Denn gerade eben hat er noch zur Musik mitgeträllert und mitgeschnippt, sich mit seinem Beifahrer unterhalten oder über den Hausaufgaben gebrütet und dann quasselt da wieder eine. Warum sollte er da zuhören? Antwort: Weil’s spannend ist und neugierig macht. Weil ihn gleich der erste Satz an den Ohren packt. Wie das geht, kann man von SWR-Hinhörer-Frau Steffi Haiber lernen:

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