15 Thesen zur Zukunft der Radionachrichten

Auftakt der Zukunftswerkstatt Radionachrichten
23. – 25. Mai 2014 in Magdeburg

Nachrichten im Radio – das ist eine 90-jährige Erfolgsgeschichte. Der Rundfunk der Weimarer Republik sendete drei Nachrichtensendungen am Tag. Heute gibt es täglich Hunderte Nachrichtensendungen im Radio – mit vielen Millionen Hörern. Aber: Die Konkurrenz wächst. Inzwischen gibt es ein unüberschaubares Nachrichtenangebot, vor allem im Internet. Ihre Rolle als unumstrittener Erstinformant haben die Radionachrichten längst verloren. Heute schreiben bereits Computer Nachrichten – und lesen sie auch vor. Es ist also Zeit, darüber nachzudenken: Wie könnten die Radionachrichten der Zukunft aussehen?

15 Thesen von Dietz Schwiesau:

1. Stärken ausprägen. Radionachrichten können schnell produziert und technisch unkompliziert verbreitet werden. Sie sind überall und einfach verfügbar und nebenbei nutzbar. Sie können schnell, verlässlich und verständlich Orientierung, Service und Gesprächsstoff bieten – handgemacht und maßgeschneidert für die Hörer. Radionachrichten zu machen, heißt: Journalisten erzählen Hörern neue Geschichten. Wenn Radionachrichten diese Stärken ausprägen, werden sie sich auf dem Nachrichtenmarkt behaupten.

2. Radionachrichten stärker vernetzen. Nachrichtenredakteure im Radio machen Nachrichten, die inzwischen auch in anderen Medien verbreiten werden: im Internet, bei Twitter oder Facebook. In Newsrooms produzieren Redakteure von Radio, Fernsehen und Online gemeinsam Nachrichten. Diesen Weg der medienübergreifenden Nachrichtenproduktion und -verbreitung müssen die Nachrichtenredakteure weiter gemeinsam gehen.

3. Im Dialog mit dem Hörer. Radiohörer sind nicht nur Konsumenten, sondern auch Quellen von Nachrichten – nicht nur bei Staus und Blitzern. Die Interaktion mit Hörern gehört zu den Aufgaben aller Nachrichtenredakteure. Sie sollten den Dialog suchen – bezogen auf das Ereignis, in sozialen Netzwerken, im Internet, zum Beispiel in Liveblogs. Nachrichten in sozialen Netzwerken sind ein Seismograph für das Interesse an Nachrichten.

4. Glaubwürdig sein. Das Nachrichtenangebot explodiert. Aber welchen Nachrichten kann man vertrauen? Vielfältige Nachrichtenquellen zu erschließen und zu nutzen, Informationen zu verifizieren und aufzubereiten – diese Aufgabe bekommt einen neuen, herausragenden Stellenwert in der Nachrichtenarbeit. Die neue Objektivität heißt Transparenz.

5. Neue Themen, weniger Themen. Radionachrichten – das sind heute meist Nachrichtenhäppchen: die ganze Welt in 2.30. Die Redakteure sollten über ihre Themenkataloge nachdenken und sich stärker auf das fokussieren, was für die Hörer wirklich relevant ist. Das sind oft die Nachrichten aus der Region. Lieber weniger Themen bieten und diese Themen besser recherchieren und aufbereiten.

6. Geschichten von Menschen erzählen. Nachrichten sind vor allem Informationen über Menschen. Das bedeutet, Menschen in den Mittelpunkt der Nachrichten zu rücken, Ereignisse stärker zu personalisieren – und diese Geschichten zu erzählen, zum Beispiel in Aufsagern/Kurzberichten.

7. Aktueller sein. Nachrichten sollten nicht darüber berichten, was war oder was sein wird, sondern über das, was ist. Nachrichten sollen nicht langweilen. Das bedeutet: Weniger Vorschau und weniger Rückschau auf das, was passiert ist. Weniger Vollzug, mehr Augenzeugenschaft, mehr Liveschalten. Feste Sendezeiten sind ein Ritual, das Verlässlichkeit schafft, aber Aktualität behindert.

8. Nachrichten variabel aufbauen. Wie kann ich die Hörer schnell, aber auch verständlich und attraktiv informieren? Mit einer klassischen Nachricht oder mit Nachricht, die ganz anders aufgebaut ist? Über die Form entscheidet der Inhalt.    Deshalb ist auch der Leadsatz ist kein Heiligtum. Wenn Nachrichten Paukenschläge sind, gehören die wichtigsten Informationen an den Anfang. Bei allen anderen Nachrichtenstoffen sind andere Einstiege denkbar.

9. Fürs Sprechen schreiben, fürs Hören sprechen. „Die Nachricht wird nicht auf dem Schreibtisch des Redakteurs fertig, sondern im Kopf des Hörers“, wusste Deutschlands erster Nachrichtenchef Josef Räuscher bereits 1927. Verständlich schreiben und verständlich sprechen – das ist eine herausragende Aufgabe für Nachrichtenmacher im Radio.

10. Mehr Radio in den Nachrichten. Radio – das sind Stimmen, Geräusche, Klänge, Töne. Mit Ausnahme der Nachrichten. Sie sind meist farblos, leblos, emotionslos: Sprecher lesen schriftlich fixierte Texte. Radio soll ein „Weltbild des Ohres“ (Rudolf Arnheim) zeichnen – auch und gerade in den Nachrichten.

11. Bessere Aufsager für bessere Nachrichten. Der Aufsager ist ein Bericht in einer Nachrichtensendung, mit anderen Gestaltungsmöglichkeiten als eine Nachricht. Aufsager – mit Geschichten, Emotionen, Atmosphäre, gemacht von Reportern, die Fakten vertiefen, Hintergründe darlegen und anschaulich ihre Erlebnisse schildern.

12. Mehr Mut zu anderen Formen. Nachrichtenmaterial mit Nachrichtenwert – das ist auch Musik (wenn der ESC-Sieger gekürt wird), das sind Sketche (um an Loriot zu erinnern) und das sind auch historische Töne. Umfragen mit Nachrichtenwert bringen mehr Menschen ins Programm.

13. Radionachrichten nicht verstecken. Das Layout sollte den besonderen Wert der Nachrichten hervorheben. Es sollte attraktiv sein, aber das Verständnis der Nachrichten nicht erschweren. Die Länge der Nachrichtensendung sollte sich auch an der Ereignislage orientieren.

14. Persönlichkeiten ans Mikrofon. Nachrichtenredakteure stehen mit ihrem Namen für professionelle Nachrichten. Sie informieren, ordnen ein, legen Hintergründe dar. Sie haben ausgebildete Stimmen, zeigen Persönlichkeit und verzichten auf kühle Distanz. Nachrichten können auch im Dialog von zwei Nachrichtenredakteuren präsentiert werden.

15. Fit für die Zukunft. Wer erstklassige Nachrichten senden will, muss in die Nachrichten investieren. Notwendig sind ausgebildete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, moderne Technik und Arbeitsbedingungen, die erstklassige Nachrichten möglich machen.

Dietz-Schwiesau - hochkantDietz Schwiesau ist Wortchef von MDR Sachsen-Anhalt, Nachrichtentrainer und Buchautor („Radio-Nachrichten“, „Die Nachricht“). Zuletzt erschienen: Ines Bose/Dietz Schwiesau (Hg.) Nachrichten schreiben, sprechen, hören. Forschungen zur Hörverständlichkeit von Radionachrichten. Darin auch: „Nachrichten ‚im Sperrfeuer‘ der Wissenschaft – Die große Debatte um die Hörfunknachrichten und ihre Sprache“.

Disclosure: Sandra Müller, die Betreiberin dieses Blogs, wird von der ARD.ZDF medienakademie dafür bezahlt, die Zukunftswerkstatt Radionachrichten publizistisch zu begleiten.

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