Ein Denkmal für Radiomacher

Eine Liebeserklärung ans Radio feiert Premiere auf der Berlinale

La maison de la radio
Frankreich 2013, Regie: Nicolas Philibert


 
Katharina Thoms über einen Film, der Hörfunker verzaubern muss:

 
Eine warme Stimme ertönt aus den Lautsprechern im Studio. Der Erzähler im Hörspiel arbeitet sich Satz für Satz durch das Skript. Die Redakteurin runzelt die Stirn und unterbricht den Sprecher freundlich: Sie ist noch nicht zufrieden. Der Sprecher beginnt noch mal von vorn. Und noch mal.

Perfektionisten am Werk

Wohl kaum ein Zuschauer hat hier irgendeinen Schnitzer beim Sprecher gehört. Im Film „La maison de la radio“ des französischen Regisseurs Nicolas Philibert („Être et avoir“) soll einfach klar werden: Hier beim Radio sind eben Perfektionisten am Werk.

„Radiomacher sind nicht so arrogant“

Ein halbes Jahr lang hat Philibert immer wieder im Haus des Radios, dem Funkhaus von Radio France, gedreht. 24 Stunden im Leben von Radio France sind daraus geworden. Sein Film ist – das darf ich vorweg nehmen – eine Hommage an die Soundkünstler und Dauertalker, an die Musikverrückten und Nervenstarken in den hektischen Aktuell-Redaktionen. Philibert liebt die Radioleute, weil die Radioleute ihren Beruf lieben. Die Radiomacher, sagt er im Gespräch mit dem Berlinale-Publikum, seien nicht so arrogant wie die Fernsehleute.

Radiomacher im typischen Habitat: Die Uhr links oben tickt auch in deutschen Funkhäusern (nicht).

Authentisch

Sein Film beginnt in der Prime Time des Radios: Wir springen mit ihm durch die verschiedenen Frühsendungen der Radio France-Sender. Erste Verblüffung für mich als Radiomacherin: Unglaublich wie sich deutsche und französische Rundfunkhäuser von innen ähneln – von der Einrichtung bis hin zur exakt gleichen Digitaluhr. Da bekommen die Radioleute gleich heimatliche Gefühle. Und die Radiohörer einen sehr authentischen Einblick ins Geschehen.

Eine Million tote Sardinen

Als Zuschauer treffen wir die quirlige Redakteurin, die für ihre Sendung bei Radio France Inter die Themen plant: Ein Bericht über den vierten Mord innerhalb kurzer Zeit? Der Streik beim Flugpersonal? Oder wie wäre es mit einer Million toten Sardinen am Strand von Los Angeles? Wir begleiten den Reporter, der live vom Motorroller über ein Headset mit Mikrofon über das Radrennen berichtet. Radio in seiner stärksten Form: Unmittelbar vor Ort. Und wir treffen den Musikredakteur – kaum zu sehen hinter seinen CD-Stapeln – der uns seine Liebe zu jedem noch so abwegigen Stück in seiner Sammlung erklärt.

Den Sound zelebrieren

Was wir sehen, befriedigt die Neugier. Es macht Spaß, mit dem Blick Philiberts durch die unendlich vielen Gänge des Funkhauses zu laufen. Der Filmemacher vergisst bei seiner Hommage natürlich nicht, das einzusetzen, was Radio ausmacht: Den Sound. Bei der Hörspielproduktion wie bei der Jazzmusikaufnahme und sogar beim Gewinnspiel vor Publikum wird der Sound in dem Film zelebriert.

Musik bis an die Halskrause - Musikredakteur bei Radio France
Musik bis an die Halskrause: Musikredakteur bei Radio France

„Was die alles so machen!“

Klar ist aber auch: „La maison de la radio“ zeigt die öffentlich-rechtliche Seite des Radios. Was alles beim Radio noch selbst produziert werde, sagte meine Mitguckerin im Berliner Kino International, das habe sie am meisten erstaunt. Dass Geräusche und klassische Musikproduktionen tatsächlich noch selbst in den Sendern entstehen. Dass es noch eigene Chöre gibt. Ihre Worte bestätigen meinen Eindruck: Nicolas Philibert zeigt uns ein Radio, das immer mehr bedroht ist. Ein Radio, in dem die große und kleine Kultur gepflegt wird. In dem noch lange Interviewstrecken Platz haben.

Nur eine Art des Radios

Kritiker werden ihm vorwerfen, dass sein Blick auf das Radio einseitig öffentlich-rechtlich sei. Niemand muss hier moderieren und gleichzeitig seine Sendung selbst fahren. Diesen Vorwurf steckt Philibert aber locker weg: Im Gespräch mit den Berlinale-Zuschauern betonte der Regisseur, er habe keinen analytischen Film über den Radiomarkt machen wollen.

Ein Denkmal für die Radiomacher

Philibert wollte seine Faszination für das Medium darstellen. Das ist ihm gelungen. Wie heißt es in der Ankündigung der Berlinale so schön abschließend: Den eifrigen Radiomachern setzt Philibert ein Denkmal. Jawohl, ein visuelles und akustisches. Hoffentlich bleiben sie trotzdem noch lange am Leben.

Porträt-KT-kleinÜber die Autorin: Katharina Thoms ist Medienmacherin mit Auge und Ohr. Steigt für Funk und Fernsehen auf hohe Seilbahnen und lümmelt sich in weiche Sessel. Liebt die Berlinale genauso wie die Radiotage in Tutzing. Derzeit Reporterin und Onlinerin beim SWR in Tübingen. Neuestes Projekt: Ihr erster eigener Dokufilm. Bei Twitter als @baerendiensttv

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