„Alle Jahre wieder“ – Die 5 meistkopierten Radioinszenierungen

Weihnachtswunsch: Mehr kenntnisreiche Berichterstattung übers Radio.

 

Billige PR für Antenne Kärnten
 Manchmal leide ich an meinem eigenen Medium. Weil so viel Quatsch gemacht wird. Aber auch, weil es gerade dieser Quatsch oft in die Schlagzeilen schafft. Und das meist vollkommen unhinterfragt und uneingeordnet.

Jüngstes Beispiel: Die  „Last Christmas“-Dauerschleife bei Antenne Kärnten. Dort hatte ein Moderator 24 Mal am Stück „Last Christmas“ gespielt und die Kollegen wussten (angeblich) nicht, wie sie ihn stoppen sollten.  Wie lustig. Fanden manche. Auch in den Medien. Von Kronenzeitung über Kurier, Stern, Independent und BILD bis SPIEGEL online.

Ich dagegen finde: Wie einfallslos! Denn diese Inszenierung gehört definitiv zu den fünf meistkopierten PR-Stunts im Radio. Wer über sie berichtet, sollte zumindest ihre Bedeutung einordnen. Für fair radio habe ich deshalb mal die fünf häufigsten Radio-PR-Aktionen zusammengestellt:

1. Moderatoren, die sich einschließen und irgendeinen Titel im Dauerloop spielen.

Den Gag hat 1999 schon ein Radiomoderator beim Hamburger Privatsender Mix 95.0 gebracht. Damals noch mit „Dancing Queen“ und „No Milk today.“

Inzwischen ist „Last Christmas“ als nervtötende Dauerschleife beliebt. 2012 bei baden.fm. 2013 bei Antenne Steiermark und bei Antenne Bayern. Immerhin: Dort hatte sich der Radiomoderator nicht selbst eingeschlossen. Vielmehr hatten ihn angeblich Hörer entführt. Wird bestimmt bald kopiert.

2. Moderatoren, die wegen irgendwelcher Fehler angeblich suspendiert werden.

Eine beliebte Inszenierung seit mindestens 2004. Damals hat es Hitradio Antenne 1 aus Stuttgart damit in die Schlagzeilen geschafft. Frühmoderator Ostermann hatte damals Mitspieler bei einem Wortratequiz beschimpft. Daraufhin wurde das Spiel unterbrochen. Und Ostermann drohte angeblich noch in der laufenden Sendung die Kündigung. Seine Co-Moderatorin rief die Hörer zur Unterstützung auf. Erfolgreich versteht sich: Stunden-, ja tagelang, wurden bangende und flehende Hörer auf Sendung genommen. BILD-Zeitung, Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten berichteten. Über das Bangen der Hörer. Nicht über die Zweifel an der Echtheit der Geschichte. Die aber gab es schon damals. Denn ein Wiener Sender hatte kurz zuvor „zufällig“ denselben “Skandal” erlebt. Und viele weitere folgten:

  2006 unterbricht das Leipziger Radio PSR ein Wortratespiel, weil sich Moderator Steffen Lukas angeblich verplappert und einen irregulären Tipp gegeben hat. Der Moderator wird beurlaubt. Das Thema im Sender über Tage im Gespräch gehalten. Mit Rechtsanwälten, Hörern, Wasserständen.

2007 wird ein Wortratespiel bei RPR1 in Ludwigshafen unterbrochen. Genau: Weil sich der Moderator verplappert und einen irregulären Tipp gegeben hat. Eine Inszenierung nach altbekanntem Muster.

Im selben Jahr ist auch Antenne Bayern mit dabei: Der zu rettende Lieblingsmoderator heißt Leikermoser. Wie seine Kollegen hatte auch er sich wieder bei einem Wortratespiel verplappert. Hörer mussten ihn in Schutz nehmen, Notare die angebliche Rechtslage klären.

2012 verplappert sich wieder jemand bei Antenne Bayern. Dieses Mal ohne Suspendierung. Aber dennoch mit öffentlichkeitswirksamem Tamtam.

3. Moderatoren, die live auf Sendung Seitensprünge entlarven.

Für Treuetests auf Sendung mit meist entlarvendem Ausgang war einst die Ostseewelle berühmt, dann stieg Alsterradio 106,8 darauf ein. Und Antenne 1 landete damit 2007 einen bis heute viralen Hit, weil sich bei einem Gewinnspiel scheinbar zufällig herausstellte, dass der Mann einer Anruferin eine Geliebte hat.

Das funktioniert übrigens auch international: In Australien enthüllten Moderatoren einer Hörerin live auf Sendung, dass ihr Mann einen Account auf einer Seitensprung-Plattform im Internet hat. Schlagzeilen garantiert. Selbst in Deutschland.

4. Moderatoren, die die abendländische Moral retten und Gewinne für anscheinend fragwürdige Zwecke verweigern.

Diese Inszenierung ist noch recht neu und ziemlich raffiniert. Denn eigentlich geht’s um ein einfaches Gewinnspiel: Der Sender zahlt die Rechnungen seiner Hörer, wenn die ihre Rechnungen nach bestimmten Regeln einreichen und ausgelost werden. Doch dann passiert was scheinbar Unerwartetes: Jemand will sich was bezahlen lassen, was man so gar nicht moralisch gut finden kann. Der Moderator weigert sich deshalb zu bezahlen, kriegt deshalb aber Ärger. Denn in den Spielregeln steht: Er MUSS. Also wird tagelang diskutiert. Mit den Hörern. Mit Experten. Mit der Sendeleitung. Und die Medien berichten.

2011 zum Beispiel WELT und FOCUS über den Fall bei Antenne Bayern. Damals ging es um einen Sexurlaub in Thailand, den der Moderator auf keinen Fall bezahlen wollte. Der Moderator als Retter der Moral also.

Dasselbe Muster nutzte im selben Jahr 89.0 RTL. Dort ging ums eine Abtreibung, die die Moderatoren nicht bezahlen wollten. Und im Jahr darauf wurde das Spiel öffentlichkeitswirksam unterbrochen, weil jemand Geld für einen Pelzmantel wollte.

2015 versetzte 94,3 rs2 seine Hörer gezielt in Aufregung. Wieder ging es um einen Pelzmantel, den jemand bezahlt haben wollte.

  

5. Moderatoren, die fiktive Hörspiel-Szenen wie echte Berichterstattung präsentieren.

Das ist ganz alte Schule. Wir erinnern uns: Orson Welles und sein „Krieg der Welten“. Das Hörspiel irritierte 1938 die Hörer, weil darin von der Ankunft Außerirdischer berichtet wurde. Ein Hörspiel, wie gesagt. Aber es klang wie eine normale Radiosendung. Eine Moderator unterbrach die scheinbar normale Magazinsendung für die „Breaking news“ über die Außerirdischen. Viele Hörer nahmen das für bare Münze.

Seitdem gab es einige Imitationen. Auch in Deutschland.

Und erst dieses Jahr hat 1LIVE das Prinzip kopiert. Mit einer neuen Story. Denn dieses Mal ging’s um eine scheinbar verschwundene Hörerin. Tagelang spielte der Sender dazu Beiträge und Interviews, ließ die Hörer rätseln und dann wissen: Das war nicht echt. Nur Werbung für ein Hörspiel.

 

Wie gesagt: Ich bedauere diese einfallslosen Inszenierungen als solche, aber auch, dass so viele JournalistenkollegInnen völlig unkritisch und ohne Einordnung darüber berichten. Ich würde mir mehr kritische Distanz zu solchen PR-Stunts wünschen. Aber klar: Mit Radio kennen sich in deutschen Zeitungen (viel zu) wenige richtig gut aus. Deshalb: Nicht vergessen! Man kann KennerInnen der Szene fragen und um Einordnung bitten. Gehört doch eigentlich zum normalen journalistischen Geschäft. Oder?

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