Radionachrichten: So und nicht anders?

Eine Geschichte (fast) ohne Wandel. (Teil 1)
Und: Warum nicht mal Neues probieren?

  • „Die News in den ersten Satz“
  • „Wichtiges nach vorn“
  • „von hinten kürzbar,“ und
  • „in einfachen Worten“, bitte!

Die Regeln für (Radio)Nachrichten sind streng und klar. Seit Jahrzehnten schon. Viel Wandel war nicht in gut neunzig Jahren deutscher Radiogeschichte.

„Die Nachrichten klingen heute im Prinzip noch genau so wie 1923,“

sagt jedenfalls Dietz Schwiesau, der Wortchef beim MDR Sachsen-Anhalt.

Jetzt will er Neues ausprobieren. In einer „Zukunftswerkstatt Radionachrichten“ vom 23. bis 25. Mai 2014 in Magdeburg. Die Medienakademie von ARD und ZDF, die Politische Akademie Tutzing und der MDR Sachsen-Anhalt laden dazu RedakteurInnen vom Öffentlich-Rechtlichen und vom Privatfunk ein. Gemeinsam sollen und dürfen sie dann Nachrichten „mal anders“ machen. Attraktiver, verständlicher, erzählender zum Beispiel. Sie dürfen experimentieren, spielen, Neues testen. Eine Premiere in Deutschland. Und unbedingt nötig. Denn wie gesagt: In 90 Jahren Radio hat sich bei den Nachrichten sehr wenig getan.

Dietz Schwiesau über die Anfänge der deutschen Radionachrichten:

„Unsere Redaktion erblickt in der Erreichung des richtigen Rundfunkstils eines ihrer Hauptziele.“

So formulierte es Josef Räuscher, der erste Nachrichtenchefs des deutschen Rundfunks im Januar 1927, nur vier Wochen nach seinem Amtsantritt. Der Nachrichtendienst verlange eine völlig neue, den eigenen Gesetzen der Rundfunkvermittlung unterworfene journalistische Arbeit.

Eine bemerkenswerte Äußerung, denn die Öffentlichkeit sieht im neuen Medium Hörfunk noch eine „akustische Schnellpresse“ oder eine „gesprochene Zeitung“. Dagegen ist Räuscher sicher, dass sich mit den Nachrichten im Hörfunk etwas Neues entwickelt:

„Unsere Arbeit wird rascher Klang, nicht bleibendes Schriftbild!“

Die Nachricht, so schärft er seinen Mitarbeitern ein, „wird nicht auf dem Schreibtisch des Redakteurs“ fertig, sondern „erst im Kopf des Hörers“. Räuschers zentrale Frage ist: Welche „stilistischen Möglichkeiten“ hat der Redakteur, „einen Tatbestand annähernd vollkommen und leicht über das Ohr in das Gehirn des Hörers zu bringen“? Nachrichtensendungen aus den 20er Jahren sind leider nicht erhalten. Die älteste – uns bekannte – Aufnahme stammt aus dem Jahr 1932.

13.2.1932 – Nachrichten des Drahtlosen Dienstes:
Erst das Wetter, dann die Poltik, die aber minutenlang.
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv

1932 muss Josef Räuscher gehen. Seine Redaktion wird aufgelöst. Auch wenn es Räuscher nicht gelungen ist, seine Erkenntnisse vom Hörstil vollständig in die Praxis umzusetzen, so hat er in nur 6 Jahren die Grundlagen des Nachrichtenarbeit im Hörfunk gelegt – und sie jahrzehntelang geprägt.

Auszug aus Josef Räuschers Stilregeln für den "Drahtlosen Dienst" 1928
„Sprache ist Verständigungsmittel, nicht Preisrätsel!“ – Räuschers Stilregeln: Bis heute gültig.

Nachfolger Räuschers wird der 32-jährige Hans Fritzsche, der zu den wichtigsten Mitarbeitern des Nazi-Propagandachefs Goebbels gehört. Fritzsche bricht  mit der Nachrichtenauffassung Räuschers: In den Rundfunknachrichten sieht er eine „Propagandawaffe“, Objektivität ist für ihn ein „Feigenblatt einer getarnten Tendenz“. Die „Idee, von der auch der Mann des Rundfunknachrichtendienstes ausgehen“ müsse, sei „die nationalsozialistische Idee“. Und so klingen die Nachrichten auch.

1.5.1933 -Nachrichten im Deutschlandsender:
„Hitlerwetter“ und Stakkatodeutsch
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv

Nach dem 2. Weltkrieg prägen die Alliierten im Westen Deutschen auch die Gestaltung der Nachrichten. Der spätere Hörfunkdirektor des WDR, Fritz Brühl, erinnert sich:

„Nur wenige machen sich heute noch eine Vorstellung davon, welchen Umbruch in der deutschen Publizistik es bedeutete, als die Amerikaner und Engländer – planvolle Umerzieher, die sie waren – das Lead für jede Meldung als verbindlich zu erklären und überzeugend darzulegen wussten, daß eine zeitgemäße Information nur so und nicht anders zum Erfolg kommen könne.“

Dazu gehört auch eine „zielbewusst geplante Änderung“ der Sprache der Deutschen, schreibt später Gerhard Rolf Matthäus. „Von einem besseren Deutsch erhoffte man sich bessere Deutsche.“

Zwischen Gymnastik, Reklame und Zeitansage: Nachrichten

Nachrichtensendungen im Stundentakt gab es noch nicht. Die wichtigste Sendezeit für die Nachrichtenleute war der Abend.

1951 – Bayerischer Rundfunk:
Gongschlag in Handarbeit und kommunistische Theorie
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv

Auch wenn die Nachrichten keine Propaganda mehr verbreiten – verständlicher werden sie nicht. So klagt der Nachrichtenchef des Bayerischen Rundfunks, Clemens Martin, 1960:

„Die Bevölkerung hat einen Anspruch darauf, zuverlässig, klar einfach, für jedermann verständlich und mit einer zweifelsfreien Deutlichkeit unterrichtet zu werden. Aber ein Großteil der geschriebenen Sprache sträubt sich beim Sprechen im Munde.“

Doch die Nachrichtenhörer haben offenbar nicht nur Schwierigkeiten mit der Sprache:

1950 – Süddeutscher Rundfunk:
Noch vor dem Wetter: Leiser, bitte!

Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv

Das Fernsehen nehmen die Radioleute zunächst nicht als Konkurrenz wahr – bis sie in den 60er Jahren viele Hörer verlieren, vor allem am Abend. Vor diesem Hintergrund beginnen auch im Radio Reformen – nur die Nachrichtenredaktionen sperren sich. Die Programme  haben zwar jetzt mehr Sendungen im Programm, aber in Inhalt und Form sind die Nachrichten fest gefügt und stehen weiterhin in der Tradition von Josef Räuscher.

Logo SDR 49-98

30.4.1963 – Nachrichten im Süddeutschen Rundfunk:
Wolkenaufzug, Streik und „allgemeine weltpolitische Probleme“
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv


Ende der 60er Jahre müssen sich auch die Nachrichtenredakteure dem Reformdruck beugen. Als erste probieren Redakteure bei SFBeat aus, Nachrichten mal ganz anders zu präsentieren.

1969 – Nachrichten von SFBeat:
Schmissiges Intro und Plauderton
Quelle: Deutsches Rundfunkarchiv

Doch erst 1971 entbrennt um die Rundfunknachrichten eine Debatte, die in dieser Dimension bis heute einzigartig ist. Ein Streit zwischen Radioforschern und Radiomachern, der alles in Frage stellt. Warum, lesen Sie in Teil 2 dieses Rückblicks.

 Dietz-Schwiesau - hochkantÜber den Autor: Dietz Schwiesau ist Wortchef von MDR Sachsen-Anhalt, Nachrichtentrainer und Buchautor („Radio-Nachrichten“, „Die Nachricht“). Zuletzt erschienen: Ines Bose/Dietz Schwiesau (Hg.) Nachrichten schreiben, sprechen, hören. Forschungen zur Hörverständlichkeit von Radionachrichten. Direkt hier außerdem: Ein ausführliches Porträt des ersten deutschen Nachrichtenchefs Josef Räuscher.

Disclosure: Sandra Müller, die Betreiberin dieses Blogs, wird die Zukunftswerkstatt Radionachrichten im Mai publizistisch begleiten und wird dafür von der ARD.ZDF medienakademie bezahlt.

Eine Antwort auf „Radionachrichten: So und nicht anders?“

  1. Man sollte es mit der einfachen Formulierung nicht übertreiben. Ein großer Teil der Bevölkerung ist sicher in der Lage, einen Nebensatz oder eingeschobenen Satz zu verstehen. Der Nachrichtentext hört sich oft an, als wenn er für Kinder im Grundschulalter formuliert worden ist.

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