Zukunftswerkstatt Radionachrichten: „Macht, was ihr wollt.“

Ergebnisse eines Experiments.
Und am Ende ein dringender Wunsch.

27 Macher, 3 Nachrichtensendungen, keine Regeln. Und: „Macht, was ihr wollt. Einfach eine Nachrichtensendung anders als sonst.“ Seminarchef Dietz Schwiesau schickt die Teilnehmer der Zukunftswerkstatt mit einem Lächeln an die Arbeit. Die lächeln zurück. Und freuen sich. Zunächst. Denn Ideen und Anregungen hatten sie am Tag zuvor schon viele bekommen. Der MDR Sachsen-Anhalt, die ARD.ZDFmedienakademie und die Akademie für politische Bildung Tutzing hatten zur Einstimmung viele Referenten geladen. Doch dann die Ernüchterung:

Sich von althergebrachten Regeln lösen, ist gar nicht so einfach. Zu prägend ist die Routine, zu stark der Alltag, der allen in den Köpfen steckt. Enttäuschung macht sich breit: „Wir wollten doch was ganz anderes! Warum haben wir das jetzt nicht gemacht?“ Und doch entstehen unter Laborbedingungen am Ende drei Sendungen, mit vielen ungewöhnlichen, neuen Elementen, die Lust auf mehr machen.


Die Laborbedingungen:

  • 27 Teilnehmer in 3 Gruppen.
  • Die Gruppen finden eigenständig zusammen.
  • Private und öffentlich-rechtliche Radiomacher gemischt.
  • Jede Gruppe macht eine Nachrichtensendung für die Zielgruppe 29-49 einer Popwelle.
  • Dafür haben die Radiomacher 7 Stunden Zeit.
  • Agentur und O-Ton-Material des MDR sind verfügbar.
  • Erlaubt sind aber auch selbst geholte Umfragen und Töne. – Auch unter Kollegen. Auch gestellte.
  • Formal gibt es keine Vorgaben und Einschränkungen.
  • Idealerweise sollen Überlegungen und Anregungen aus den Impulsreferaten am Tag zuvor eingebaut werden (Mehr dazu auch demnächst hier im Blog).
  • Alle Sendungen bekommen dieselben gestalterischen Soundelemente zur Verfügung gestellt (produziert von Michael Thaler, MDR)

Testsendung 1:

Die Idee dahinter

  • Nachrichten als Setzbaukasten – kleinteilig, mit verschiedenen Formen, modular.
  • Vorbild u.a.: Die 5W von NowThisNews.
  • Einzelne Elemente sollen auch in sozialen Netzwerken teilbar sein.
  • Einzelne Elemente sollen auch anderswo im Programm wieder einsetzbar sein.
  • Einfache Sprache. Alltäglich. Weg vom Behördendeutsch.
  • Weg vom offiziellen Blickwinkel. So persönlich wie möglich. Mit Menschen als Protagonisten.
  • Motto: MenschenTöneAtmosphäre

Wirkung und Reaktionen danach

Einstieg:

„Die O-Ton-Collage ‚zum Tag‘ zu Beginn ist ein Hinhörer, aber irritierend. Man versteht nicht, dass das mehr als ein Thema ist.“

Nachricht zur Rente:

Die personalisierten kurzen Beispiele zur Rentenmeldung funktionieren.

Aber: Miniportraits wirken so stark, dass sie anderes überlagern. Hängen bleiben deshalb die „guten“ Rentengeschichten, die Kritik am Rentenpaket geht danach unter. Problem: Ausgewogenheit.

Gute Komposition aus kurzen Texten, kurzen O-Tönen, Einspielern.

Warum „Aufregung auch im Netz“? Warum nicht Stimmen der eigenen Hörer?

Auch in den News nach Meinungen der Hörer fragen? Gut.

Nachricht zu EU-Wahlkampf/Schulz:

Kein klassisches Nachrichtenthema. Wirkt aber gut, weil gesprächswertig.

Eine Umfrage in den Nachrichten? Ok. „Diese hier ist aber einseitig. Das gehört so nicht in die Nachrichten.“

„Die Welt in sechzig Sekunden“:

Kürze wirkt packend.

Auffällig: Kein Pyramidenmodell. Die Meldungen beginnen mit einleitenden Sätzen. Nicht mit der News. Gut.

„Das hätte man noch stärker verpacken können mit Musikbett und klaren Trennern“

Nachricht zum 65sten der Verfassung:

Absoluter Hinhörer: Adenauer-O-Ton. Ansatzloser Übergang. Problem: Meldung endet, als es spannend wird. O-Töne betonen das Falsche (Historie+Harmonie) nicht den Konflikt.

Nachricht zu Internetbetrug:

Gespräch in den Nachrichten ist Hinhörer. Wirkt aber nicht auf alle authentisch, „noch nicht gesprächig genug.“ Leicht theatral.
Problem: An der entscheidenden Stelle wird man ins Internet verwiesen. Das enttäuscht.

Nachricht Computersprecher:

Soundeinleitung absoluter Hinhörer

Thematisch keine klassische Nachricht. Aber eben radiotaugliche Nachricht. Gut radiophon umgesetzt.

Insgesamt:

„Die sieben Minuten kamen mir nicht wie sieben Minuten vor“
„Eine Sendung nach dem Motto: Informieren macht Freude.“

Die Sprache: gelungen lässig und alltagsnah. Sehr kurze Sätze. Gut verständlich.

Aber: „Das ist keine Nachrichtensendung. Das ist ein Magazin.“
„Das wäre im Privatradio undenkbar: 7 Minuten!“
Zu viele O-Töne? „Manchmal weiß man nicht mehr wer spricht.“

Testsendung 2

Die Idee dahinter:

  • Nachrichten für Leute, die die eigentlichen News schon kennen (via Smartphone+Netz)
  • Die Sendung muss über die einfachen Fakten hinausgehen – mit Sound, Klang, weiterführenden Fragen.
  • Nachrichten, die betreffen.
  • „Wir wollen den Hörer aus seiner Beiläufigkeit reißen.“
  • „News zum Mitmachen“: Der Hörer soll die Chance auf Interaktion haben.
  • Die Nachrichten sollen auch unterhalten.

Wirkung und Reaktionen danach:

Einstieg:

Sehr lockerer, kurz-knackiger Überblick.
Aber bleiben die Themen wirklich hängen?

Nachricht zum Fußball-Public Viewing:

Einstieg mit Geräusch ist Hinhörer. Dürfte aber etwas länger stehen.
Umfrage lockert auf. Ist ausgewogen.

„Genial!“: Das Thema mit konkreter Hörerfrage weiterzudrehen: „Wie kommt man heim?“ Hörer als maßgebliche Instanz der News.

Nachrichten Rente:

Einstieg mit O-Tönen. Persönliche Statements. Gute Hinhörer.

Aber: Kein Hintergrund. Keine Einordnung.“
Und: „Die Fakten gehen in der unterhaltend erzählerischen Aufmachung unter? Wer hat was beschlossen?“

Möglicherweise ist das egal. Zentral ist: Was betrifft den Hörer? Was bedeutet es für ihn? Ganz praktisch.
„Es ist nicht immer wichtig, wer was beschlossen hat.“

Nachricht Fußball-Lars Bender:

Live-Schalte zum Reporter ist Hinhörer.
Es wird klar: „Wir sind vor Ort und reden über das, was wir durch Recherche und Beobachten selbst wissen.“

Nachricht NASA-Welt-Selfie:

Der Talk mit Kollegin macht die Nachricht sehr locker. Authentisch.

Gut: Hörer sind Teil der Nachricht.

Wertung „Wir finden….“ fühlt sich an, als würde ein/e Freund/in Neues erzählen.

Insgesamt:

Sehr locker. Gelungen neutral und persönlich zugleich.

„Besser als 99 Prozent dessen, was im Radio jeden Tag läuft.“
„Man könnte morgen so starten.“

Aber: „Dürfen wir das machen? Die Fakten woanders vermuten. Und nicht umfassend informieren?“ „Wir sind doch verpflichtet den Hörer, mit der nötigen Konzentration an Fakten zu versorgen.“
„Hier ist alles sehr emotional dargestellt. Die Fakten sind fast überlagert.“

Testsendung 3

Die Idee dahinter:

  • Mehr Gespräch in den Nachrichten.
  • Nicht nur Themen „melden“, die den klassischen Nachrichtenwerten entsprechen
  • Mindestens ein Streitthema – eines, das auch in der Redaktion umstritten ist.
  • Metaebene mitkommunizieren: Warum machen wir was wir machen?
  • „Wir-Nachrichten“ nah am Hörer.

Einstieg:

Schlagworte rasen vorbei. Bleibt was hängen?

Nachricht Rente:

Gute Idee, die Metaebene anzusprechen. „Das klingt langweilig, ist aber..“

Gespräch grundsätzlich gut. Inhaltlich sind die Antworten aber sehr lexikalisch. Zu viele Fakten. Viele Fachbegriffe lassen die Infos an einem vorbei rasen. O-Ton kommt als Hinhörer zu spät.

Kurznachrichten:

Viele klassische Formulierungen, die verschleiern: „Grünes Licht“, „Stehen vor dem Aus“

Schönes Andocken an die Hörer: „WIR dürfen die Mannschaften anfeuern“ – aber macht man sich damit schon zu gemein?
Schlagzeilenprinzip sehr klassisch.

Nachricht Beckenbauer und die WM:

Interessanter Blick hinter die Kulissen: „Test bei uns in der Redaktion“. Ließe sich ausbauen: Noch stärker personalisieren. Was sagen unserer Redakteure?

Hörer einbinden gut. Sie dürfen bei ihren Nachrichten mitreden.

Insgesamt:

Sehr konventionell. Noch zu wenig spielerisch.

Gute Idee: Die Metaebene. Reden über das, was geht in der Redaktion. Thematisieren, welches Thema dort wie ankam.

Gelungen den Blickwinkel des Hörers eingenommen. Einordnung wagen: „Klingt langweilig, ist aber..“

 

„Und das soll’s jetzt gewesen sein?“
Ein paar persönliche Anmerkungen. Und ein Wunsch.

Selten hab ich so viel Begeisterung und Faszination und dann so viel Enttäuschung und Frust in den Gesichtern von Seminarteilnehmern gesehen. Denn: „Das soll’s jetzt gewesen sein?“ Die meisten hatten nach ihren Testsendungen das Gefühl: „Wir haben überhaupt nix Innovatives gemacht.“ Und: „Das soll auf keinen Fall irgendjemand außerhalb des Seminars zu Ohren kriegen. Das ist doch lächerlich.“

In der Tat hatten direkt nach dem Workshop alle viel waghalsigere Ideen: „Warum haben wir denn nicht mal Radionachrichten im Stil von Le Floid versucht?“ „Warum nicht Nachrichten im Comic-Sound?“ „Wir könnten Nachrichten doch auch mal singen!“ Und ja: Das könnte man.

Doch wer im Radio Nachrichten macht, ist es gewohnt nach strengen Regeln zu arbeiten. Mit klaren Schemata und unglaublich starren Vorgaben. Die aufzugeben, ist schwierig. Denn im Hinterkopf sind Definitionen und Theorien, die sich über die Jahre eingeschlichenbrannt haben.

Besonders aufgefallen ist mir das im Seminar bei der Frage: „Sind das noch Nachrichten oder ist das schon ein Magazin?“ Eine Frage, die ich nicht zum ersten Mal höre und mich immer wieder erstaunt. Denn ja: Wir Macher unterscheiden das. Aber der Hörer? Der merkt vermutlich nur: Das eine versteh ich besser. Das andere schlechter. Das ist länger. Das ist kürzer. Und vermutlich würde er in allen Fällen sagen: „Das ist eine Nachrichten-Sendung.“

Für mich jedenfalls sind Nachrichten Nachrichten, wenn sie sich mit nachrichtlichen Themen befassen. Themen also, die
a) jeweils neu (News) und
b) interessant sind für unsere Hörer.

Und dann geht es nur noch darum, sie so zu vermitteln, dass unsere Hörer sie gerne hören und verstehen. Dabei darf und muss uns jedes Mittel recht sein.

Deshalb: Ausprobieren was geht! Und zwar wann immer es geht. Denn zum Experimentieren braucht man nicht zwingend ein Seminar und auch keine Werkstatt. Veränderung beginnt ganz klein. Und genau das haben am Ende auch die Werkstattteilnehmer gespürt.

Und die kleinen Experimente im Alltag sind vielleicht sogar einfacher und frustfreier, als der Versuch, gleich eine ganze Sendung neu zu machen. Deshalb: Dranbleiben. Weiter mitlesen hier im Blog, bei nachrichtenzukunft.de und auf twitter unter #newsneu. Und sich anstecken lassen. Die Versuche im Nachrichtenlabor haben grade erst begonnen! Lasst uns wissen, wenn auch Ihr experimentiert.



Disclosure: Sandra Müller, die Betreiberin dieses Blogs, wird von der ARD.ZDF medienakademie dafür bezahlt, die Zukunftswerkstatt Radionachrichten publizistisch zu begleiten.

8 Antworten auf „Zukunftswerkstatt Radionachrichten: „Macht, was ihr wollt.““

  1. ja, wer keine Probelme hat, muss sie sich eben selber machen. Damit „Hinhörer“ entstehen, „Gesprächswertigkeit“, starre Regeln aufgeweicht werden können, dann geht, wer weiß, auch der Alltag aus dem Kopf, perhaps, häppchenweise, Innovation rein, Routine raus, wenn wir uns so anstrengen, dann kann doch der Hörer nichts mehr dagegen haben. Dann mal wieder die Stimme Adenauers, überhaupt O-Töne von Hörern, mitten in den Nachrichten,warum nicht, mal was anderes. Ich finde auch Funklöcher interessant, einfach mal Rauschen oder einen langen Wasserfall von der Geräuschplatte dazwischen, sowas, oder frenetischer Beifall, einfach so, statt Musik.. irgendwie kriegen wir das schon noch hin. Nur bloß nie aufgeben. Rundfunken ist schon toll. Ich fand früher die unfrwilligem Sketche bei Radio DDR Professorenkolloqium so wahnsinnig lustig, allein die Aufzählung der Amts-Titel füllte oft die Hälfte der Sendezeit.
    Also nur Mut ihr Süßén, vorwäts, nichts vergessen.

  2. Interessante Ideen, spannende Hörbeispiele.

    Testsendung 1 hat finde ich einige Ähnlichkeiten zum „Update“, das täglich um 18 Uhr bei DRadio Wissen läuft. Auch dort gibt’s Gesprächiges, auch dort oft starke O-Töne als Hinhörer, auch dort „Und sonst in der Welt“, auch dort Kommentare aus dem Social Web.

    Zum Vergleich Update vom 23.05.: http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2014/05/23/dradiowissen_update_23052014_20140523_919ff49c.mp3

    Vielleicht gibt es ja tatsächlich schon mehr Zukunft, als man denkt?

  3. Ein spannendes Experiment, dessen Ergebnisse sich wirklich nicht verstecken müssen, finde ich! Aus allen drei Testsendungen kann ich positive Ansätze und Umsetzungen ziehen.

    Bei den ersten beiden war mir der Einsatz von O-Tönen, Umfragen und Höreranufrufen gemischt mit den klassischen Elementen etwas zuviel und durcheinander. Da kam mir der Inhalt tatsächlich zu kurz, oft wurde zuviel nur angerissen. Klar ist es auch gut, den Hörer miteinzubeziehen – aber Umfragen (und damit persönliche Meinungen von Menschen, die ich selbst nicht kenne) höre ich im Programm sowieso eher ungern, bzw. bieten mir nicht viel Mehrwert. Das dann auch noch in den News …

    Was mir bei allen drei Sendungen gut gefällt, sind die Talk/Korri-Elemente. Die noch etwas gesprächiger und an den inahltlich wichtigen Stellen vertieft, dann hab ich als Hörer wirklich viel davon: Abwechslung und Auflockerung durch zwei Sprecher, denen ich gedanklich folgen kann, und inhaltlich bekomme ich auch mehr mit. Auch die Kurznachrichten-Elemente tun den Sendungen insgesamt gut!

    Was bleibt am Ende? Im redaktionellen Alltag lassen sich die drei Testsendungen eher schwer realisieren. Viel Aufwand, zeitlich und personell – ich kenne keine Redaktion (auch nicht im ÖR), die soviel darin investieren könnte, bzw. würde (bis jetzt). Aber: Mehrmals am Tag (gerne auch zu den klassischen Info-Zeiten wie mittags um 12 und abends um 18 Uhr) eine Magazin-News-Sendung mit einem Top-Thema, inklusive Gespräch im Studio und einer Umfrage bzw. Meinungen aus dem Netz plus Kurzmeldungen und nettem Rausschmeißer – das sollte hinzukriegen sein. Und bei den kürzeren Ausgaben dazwischen in #Newsneu-Manier mehr auf Themenauswahl, Sprache und Präsentation zu achten, ebenso. So kann #Newsneu ein Mittelweg sein zwischen dem klassischen Modell und dem wilden Experiment!

  4. Kompliment zuerst einmal! Habe die Diskussion am Wochenende über twitter verfolgt und war sehr gespannt auf die Ergebnisse! Ich finde sie sehr inspirierend!!
    Ja, ihr habt keine Revolution gestartet.
    Aber auch ja, ihr liefert mit euren Testsendungen extrem gute, leicht und schnell umsetzbare Beispiele für den Alltag.
    Sehr gut finde ich das einordnende Gespräch. Auch wenn es das ja eigentlich schon gibt, habe ich hier sehr kurze, knackige und teilweise eben auch sprachlich gelungene Gespräche gehört. Dieses noch stärkere „hin“ zum umgangsprachlichen Erzählen ist megawichtig!
    Atmos: toll! Mehr davon, aber bitte keine Fakes!
    Umfragen: ok, aber hier ist die Dosierung wichtig, sonst kann es schnell beliebig wirken (Motto: zu jedem Thema dürfen schön paritätisch die verschiedenen Seiten ihren Senf dazu geben. Nä!).
    Einbinden von Feedback über social media auch in Nachrichten: Logo! Geht auch im Radio und bei ernsten Themen (ohne, dass da gleich die Brigitte Büscher der Redaktion in die Sendung geholt werden muss!).
    Und live und von vor Ort, wo es nur geht!!! Das ist immer stark!

    Also:
    Steter Tropfen, langer Atem – wie immer. Historisch gesehen haben sich ja auch eher die Reformen bewährt und nicht die Revolutionen. #seufz

  5. Ich habe Euer Projekt mit Interesse verfolgt. Ihr habt viele Ideen und macht Euch viele Gedanken, was man aus Hörersicht verbessern könnte, und welche alten gewohnten Nachrichtenprinzipien man sich besser verabschieden sollte. „Think outside the Box!“ Ich meine aber, dass Ihr beim Versuch, dem Hörer entgegenzukommen, bisweilen zur einer gewissen Betriebsblindheit und damit das Gegenteil erreicht. (Selbiges fällt mir auch des Öfteren bei realen öffentlich-rechtlichen Nachrichten auf.)

    Das fängt schon damit an, dass es „den Hörer“ gar nicht gibt, und selbst ein konkreter Hörer zu unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Bedürfnisse hat. Ein siebenminütiges Nachrichtenmagazin kann beispielsweise eine tolle journalistische Spielwiese sein – aber wer sein Radio primär als farbiges Hintergrundrauschorgan betrachtet, sei es aus (politischem) Desinteresse oder weil er beim Radiohören etwas anderes macht, was ihn geistig fordert oder immer nur abschnittsweise hören lässt, wird mit keinem siebenminütigen Magazin der Welt glücklich. Wer dagegen tatsächlich „zuhören“ möchte, wird durch zu wenig inhaltliche Substanz abgeschreckt. Ich kenne schon so viele Menschen, für die das Radio als journalistisches Medium per se gestorben ist. Für die Nebenbeihörer – wie für die Intensivhörer (à la DLF) gibt es aber immer mehr Konkurrenz durch neue Technologien. Das, was das Radio als Medium hinsichtlich seines Potentials auszeichnet (gerade gegenüber Podcast und Streamdiensten), ist der Live-Charakter und die glaubwürdige Hörerbeziehung. Wenn sich Radiosender aber weiterhin am „race to the buttom“ beteiligen, wird das der Tod des Radios als journalistisches Medium sein.

    Ein anderer Bereich ist die Nutzwertorientierung und Personalisierung der Nachrichten. Eine Breitenthema aus Sicht eines konkret betroffenen darzustellen, macht die Sache für den Hörer plastisch; informativ und nutzwertig wird sie aber erst, wenn man auch dazu sagt, ob das Beispiel nun repräsentativ für 50 Millionen Menschen ist oder nur für 500. (Aus diesem Grund ist eine solche „human touch“-Vorgehensweise auch latent anfällig für Meinungsmanipulation, sei es vorsätzlich oder aus unbewusster Pfadabhängigkeit heraus.)

    Ein anderer Fall der Betriebsblindheit ist es, wenn Ihr Euch den Kopf darüber zerbrecht, wie man Texte und Begriffe kürzen und vereinfachen kann, um sie dann in den fertigen Nachrichten wieder mit Smalltalk-Nullwörtern aufzufüllen. Um dem Hörer nahe zu sein, wollt Ihr Euch stärker an der Alltagssprache orientieren. Aber Alltags-Smalltalksprache ist keine, die man mit glaubwürdiger Nachrichtenvermittlung verbindet oder bei der inhaltlich viel rüberkommt – jedenfalls in Relation zur Menge des Gesagten. Ich möchte mich nicht mit jemandem unterhalten, der so redet, wie die Neue Zürcher Zeitung ihre Texte schreibt. Ich möchte aber auch keine Zeitung lesen, die in ihren Texte versucht, Alltagssprache nachzuäffen. Diesen Kommentar hätte ich in der gesprochenen Sprache völlig anders formuliert, aber ein Sprachprotokoll hättet Ihr bestimmt auch nicht lesen wollen. Radionachrichten sollten weder Zeitungssprache oder Smalltalk imitieren. Sie sollen eine eigene Form bilden, mit der möglichst viel möglichst sachlich möglichst verständlich rüberkommt. Das sind Kriterien, an deren der allergrößte Teil von Alltagssprache notwendigerweise scheitert – was auch nicht schlimm ist, weil das Alltagssprache ist und keine Nachrichtensprache.

    Radionachrichten sollten verständlich sein, da gehe ich absolut d’accord. Was aber gerne übersehen wird: Übersimplifizierte Sprache, inhaltlich wie grammatikalisch, kann genauso unverständlich werden wie Behördensprech. Radionachrichten brauchen eine eigene Form, bei der Arbeit daran wünsche ich Euch weiterhin viel Spaß und Erfolg!

  6. Zunächst mal: ein einmaliger Höreindruck!
    Formenvielfalt: Gut!

    Bloß die Sprech-Sprache, insbesondere bei den Dialogen, klingt oft nach Papier.
    Die O -Töne sind akkustische Abwechslung – ihr Nährwert ist mehr so mittel.

    Mir mangelt es an Online-Skepsis. Oder liegt diese Einschätzugn an meiner Modernitäts-Skepsis, vulgo: an meinem Alter…

    Und das noch: ich vermisse eine Formenvielfalt , die über die nachrichtliche, journalistische Formenvielfalt hinausgehen könnte. Sowas wie eine akkustische Pappnase. (ein Versprecher, ein Stocken ein Lachen, ein Geräusch…)
    Jeder kennt doch das eigene Innehalten, wenn in einer Nachrichtensendung etwas nicht klappt. Ton fehlt, Sprecherin mit Lachanfall. – Klar, Pannenreihung macht noch keine Newssendung.
    Aber ein störendes,ein verfremdendes Moment ist eine zusätzliche Möglichkeit der Gestaltung.

    Und wer sagt: „Wie? Ich soll kichern, am End noch pupsen!? Ich mach mich doch nicht zum Clown!“, ist vielleicht nur zu bequem seinen Informationsauftrag gegen die eigne Eitelkeit durchzuboxen.

    Kurz: Unnachrichtliches als Chance, Nachrichten haltbarer zu machen, sie (Vorsicht: Ausdrucksschwäche folgt!) noch einmaliger zu machen.

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